Die Angst zu scheitern

16.04.2022

Es ist fünf vor zwölf, die Abgabetermine stehen an, die Zahlen sind schlecht und der Schreibtisch ist voll. Ein Ende ist nicht in Sicht und der nächste Urlaub ist fern. So habe ich eine übliche Ausgangssituation in einem meiner Coachingeinsätze gemalt. Die Coachee hatte die Aufgabe einen Lagerstandort samt Anbindung an die Lagerhaltungssoftware in Betrieb zu nehmen um weiter lieferfähig zu bleiben. Nach einem halben Tag "auskotzen" habe ich dieses Bild gemalt. Wir haben von außen auf die Situation schauen können.

Was ist passiert? Bevor eine Planung stattgefunden hat, wurde der Termin bereits gesetzt und der Coachee hat das Projekt zugeteilt bekommen. Als Erfolgskriterium wurde der prozentuale Faktor der Lieferfähigkeit gegenüber dem Auftragseingang gemessen. Zudem musste jeden Monat ein "Erfolgsbericht" abgegeben werden. Die Coachee war buchstäblich am Ende. Sie hatte Angst zu scheitern. Ich analysierte mit ihr den Kontext.

War die Aufgabe realistisch formuliert?

Nein. Neben dem Standort und den damit verbundenen Aufbauarbeiten musste der zweite Lagerort erst in die Software und die Dispositionsprozesse eingebunden werden. Weiter musste identifiziert werden welche Lagerhaltungsmethode verwendet wird. Chaotisch oder ist ein je Warengruppe ein Standort ggf. sinnvoller (Zubehör am gleichen Standort um eine Bestellung dort vollständig zu kommissionieren)? Die Zielformulierung war lediglich auf den fertig ausgestatteten Standort gemünzt. Nicht jedoch als ganzheitlicher Ansatz für den Betrieb.

Ist der Erfolgsfaktor repräsentativ?

Nein. Das Unternehmen handelt u.a. mit Saisonwaren wie Pools und Gartenmöbeln. Nach dem Weihnachtsgeschäft ist der Auftragseingang geringer, bis das Wetter besser wird. Es war abzusehen, dass die Zahlen nach unten gehen und sich auch nur dann eine Verbesserung ergibt, wenn das neue Lager tatsächlich in Betrieb ist. Zwischenzeitlich diese Werte zu präsentieren war nicht sinnvoll.

War das Projekt richtig aufgesetzt?

Jein. Neben den o.g. Parametern hatte die Coachee die richtigen Ressourcen und war selbst auch ausreichend erfahren um ein solches Projekt zu steuern. Eine klassische Methode war für die Ausstattung des Standortes genau richtig.

Wie habe ich der Coachee dann helfen können?

  • Wir haben für den Erfolgsbericht eine Scoperweiterung angekündigt und das Zeitfenster mit der Geschäftsführung erweitert. Wir haben erklärt, dass der Termin für den fertigen Standort gehalten werden kann, dass wir aber für die Anbindung an vorhandene Prozesse und Software weitere Arbeiten identifiziert haben. Hierzu benötigen wir mehr Ressourcen und mehr Zeit. Um jedoch den Einfluss auf die Lieferfähigkeit zu verbessern, wollen wir den Teil agil je meistgefragter Warengruppen einführen (Iteratives Vorgehen).
  • Die Kennzahlen haben wir mit gleicher Begründung erweitert. Der neue Wert zeigt den Zuwachs der Lieferfähigkeit des neuen Standortes ab der ersten Iteration der Inbetriebnahme. Hier kann der tatsächliche Nutzen gemessen werden.
  • Für das Demand Management haben wir noch ein Kanban Board erstellt und den Erfolgsbericht später an dem Board abgehalten. So war auch die Aufgabenflut besser visualisierbar. Inkremente der Inbetriebnahme hatte die Coachee mit einer Palette visualisiert. "Schaut mal, diese Produkte werden nun auch über das Lager 2 versendet." Einfach nur toll.

Die Coachee war froh, dass sie nicht gescheitert ist. Sie freute sich darauf mit dem Board zu arbeiten und auf das Feedback der Geschäftsführung. Sie hatte auch vorher viel richtig gemacht. Es waren mal wieder nur die richtigen Sichtweisen von außen und kleinere Denkanstöße. Wenn ich meinen Pool im Mai aufbaue, werde ich wieder an sie denken und an die Palette mit den fertig eingebundenen Produkten.


Euer Arne Drescher

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