Kanban mal machen - im Vertrieb

12.04.2022

Während meiner hauptberuflichen Selbstständigkeit habe ich Unternehmen bei dem Starten von Projekten begleitet und Projektleiter gecoacht. Wie das als Berater so ist, man will seine Leistungen ja an die Frau oder den Mann bringen, kam es in einem Beratungshaus dann zu einem anderen Ansatz. Das Consulting und die Projektleiter hatten mit Wellen der Beauftragung zu kämpfen. Im ersten Monate des Quartals gab es keine neuen Aufträge und gegen Mitte des Quartals häuften sich die drängelnden Kunden. Der Arbeitsfluss war gestört, da die ähnlich gelagerten Projekte fast zeitgleich live gehen sollten. Da half kein Coaching. Die Projekte habe sich zum GoLive "kannibalisiert", plötzlich brauchten alle Projekte die gleichen Ressourcen. Ursachenforschung war angesagt. Naja, keine Herausforderung. Wo kommen Projekte her? Aus dem Vertrieb. Und hier war auch die Ursache schnell gefunden. Die Vertriebsziele waren je Quartal klar. Eine Übererfüllung war nicht gewünscht (Personalkostenschlüssel und Kapazität im Consulting). So haben die Kolleg:innen im Vertrieb zu Beginn des Quartals Akquise betrieben, alte Fälle aufgewärmt und Angebote geschrieben. Der überwiegende Teil der erfolgreichen Abschlüsse kam kurzfristig, also im zweiten Monat, zustande. Ab Erreichung der Quartalszahlen war das Engagement, ich will es mal freundlich ausdrücken, auf die "Pflege von Kontakten" beschränkt. Aus Sicht des Vertriebs doch sehr gut. Sie haben die Quartalszahlen erreicht. Eine Übererreichung war nicht gewollt. Stimmt doch alles, oder? Nein. Die dahinterliegenden Prozesse waren auf das wellenförmige zuliefern von Aufträgen nicht ausgelegt. D.h. der Arbeitsfluss des dahinterliegenden Service musste bei der Steuerung der Vertriebsprozesse berücksichtigt werden. Das Ergebnis seht ihr hier:


Hintergrund

Der Vertrieb musste seine Abschlussquote auf das Quartal verteilen und seine Ziele erreichen. Ich habe mich, wegen der nicht linearen Anfragen aus dem Markt, für eine agile Methoden entschieden. Hier lässt sich der Arbeitsfluss am besten regulieren. Kennzahlenbasiert könnte auch eine klassische Methode gewählt werden, aber mir war der Overhead an Planung hier zu viel. So habe ich das Board zusammen mit dem Vertrieb aufgebaut:

Anfragen

Anfragen potenzieller Kunden kommen über das Jahr verteilt rein. Nach einer Flaute im Januar kommen viele Anfragen aus Unternehmenszielen heraus. Im September gibt es die meisten Anfragen während oder nach der Messe und zum Jahresende müssen schnell noch Consultingumsätze abgerechnet werden. Das Backoffice nimmt die aktiven Anfragen auf und der Vertrieb fügt Anfragen aus Messebesuchen hinzu. Das Board füllt sich durch eine gute Internetpräsentation und Messebesuche. Folgende Kennzahlen haben wir für den Vertriebsprozess identifiziert:

  • Name des Kunden (Symbol des Mitarbeiters)
  • Anzahl Mitarbeiter (zählt später für die Lizenz)
  • Angefragte Leistung (hier Module des Anbieters)
  • Umsatz in Lizenzen p.a / Geschätzter Umsatz im Consulting
  • Eintrittswahrscheinlichkeit

Akquise

Das Backoffice recherchiert mögliche Unternehmen und ermittelt für den Vertriebsprozess bereits die Anzahl der Mitarbeiter und identifiziert mögliche Potenziale. Erste Änderung im Prozess. Das Backoffice hat die Aufgabe aus der Akquise heraus immer 10 Karten mit den besten Ergebnissen im Board zu halten. Ist dies erreicht, sollen sie das Vertriebsteam unterstützen.

Cold case

Hier befinden sich ehemalige Karten von verlorenen Angeboten. Neben den o.g. Details wird das Datum des letzten Kontakts vermerkt (Weitere Details sind im CRM hinterlegt). Karten mit geringem Umsatz oder der Chance gleich Null (persönlich, Anforderungen, Zielgruppe), wandern in den Papierkorb. Hat das Vertriebsteam Zeit, werden hieraus Karten gezogen. In diesem Fall haben wir uns auf ein Jahr seit dem letzten Kontakt geeinigt. Es geht hier darum, die Zufriedenheit des Kunden mit seiner Entscheidung abzufragen und sich als Unternehmen in Erinnerung zu rufen. Entweder man lernt hier, warum ein Kunden sich für eine andere Lösung entschieden hat oder ein Kunde ist mit seiner Entscheidung unzufrieden und man hat vielleicht wieder die Chance auf einen Abschluss. Dieses Backlog hat kein Limit. Sind die Karten zu alt, werden sie aussortiert.

Sondierung

Diese Spalte sollte mit zwischen 1-2 Karten pro Mitarbeiter gefüllt sein. Hier werden Karten aus den Anfragen, Akquisen oder cold case aktiv durch die Mitarbeiter gezogen. Je nachdem welche Karten zu dem Zeitpunkt am vielversprechendsten sind. In dieser Phase werden die Anforderungen des Kunden besprochen. Jetzt kommt die Verlinkung der einzelnen Services. In ruhigen Phasen im Consulting, unterstützen die Berater aktiv den Vertrieb. Ist das Backlog gefüllt, unterstützt das Backoffice. Sind alle ausgelastet, muss der Vertriebler übergangsweise allein sondieren oder die Kunden "warmhalten". Durch das Work in Progress Limit wird der Fluss gewährleistet und die Anfragewelle gesteuert.

Angebot

In der Spalte Angebot gibt es immer nur eine Karte je Mitarbeiter. Also dranbleiben, bis es zur Verhandlung geht. Ist ein Angebot fertig, kann das nächste begonnen werden. Aus den Verhandlungen gibt es dann Anpassungen.

Verhandlung

Hier sind die netten Gespräche mit dem Einkauf dran oder die Angebote werden auf Kundenwunsch angepasst. Hier gibt es kein Limit, was die Anzahl angeht. Manchmal dauert es eben. Aber der Vertrieb sollte sich hier ein Zeitlimit setzen. Ggf. macht es Sinn die Angebote als cold case aufzunehmen und die Energie in andere Kunden zu stecken.

Abschluss

Glückwunsch. Der Kunden hat den Vertrag unterschrieben. Die Übergabe an das Consulting kann initiiert werden und die Nachbetreuung beginnt. Die Kennzahlen verraten nun auch, inwieweit das Quartalsziel bereits erreicht ist (Hier einfach dargestellt). Die Quartalszahlen können auf die Zeit verteilt werden und als Wochenziele definiert werden. Wenn die Ziele aus verschiedenen Kennzahlen kommen, dann können auch mehrere Zeilen dafür eingefügt werden. Beispiele sind: Lizenzumsatz p.a., Conslulting Umsatz, Neukunden, Neukunden in Branche XY oder Modul XX.

Verloren

Jederzeit kann ein Kunde abspringen. Kein gutes Gefühl die Karten dort abzulegen. Aber hieraus könnte ein cold Case werden. Für immer verloren? Dann loslassen. Es gibt genug weitere Chancen.

Was hat sich verändert?

Dadurch, dass sich der Vertrieb um wenigen Fälle gleichzeitig kümmert, ist der Arbeitsfluss in Form von Abschlüssen gleichförmiger. Anfragen werden direkt bearbeitet. Zu Messezeiten wird für den Rest des Jahres das Backlog gefüllt. Alte Angebote können aufgewärmt werden. Kommen gerade keine Anfragen rein oder Verhandlungen verzögern sich, kann man sich einfach weitere Karten ziehen. Die Zahlen können erreicht werden. Die Kennzahlen sorgen dafür, dass sich auf die wichtigsten Fälle konzentriert wird. Das Consulting hatte, bis auf das Jahresende, weniger Überschneidungen und die Projekte liefen insgesamt besser.

Bei dem folow up nach einem Jahr gab es noch kleine Verbesserungen. Die Werte Umsatz und Lizenz wurden mit der Wahrscheinlichkeit multipliziert, um direkt vergleichen zu können. Das Backoffice hat die Pflege der Kennzahlen übernommen. Die Planung der Ziele wurden auf Wochen runtergebrochen und Urlaube berücksichtigt. Das Work in Progress Limit wurde bei der Sondierung zeitweise überschritten. Wir haben dann, je nach Vertriebsmitarbeiter:in auf 1-4 Karten erweitert. Zu Messezeiten war ein WIP-Limit nicht möglich. Wir haben jedoch die Plandaten im Projektmanagement aufgenommen um die Kapazitäten im Consulting auf die Vertriebsunterstützung hin zu optimieren. Es bleibt ein laufender Prozess.

Die Visualisierung auf einem Board hat das Team motiviert, da die Arbeit sichtbar war. Zum einen, da alle die gleiche Anzahl an Fällen hatte und zum anderen, dass die Zielerreichung transparenter war. Den Effekt der leistungsorientierten Gleichbehandlung beschreibe ich in meinem Blog "Das Hasen Prinzip". In diesem Fall könnte ein Jahres- oder Quartalsranking helfen.

Ich hoffe dieses Beispiel hilft Ihnen eigene Methoden für den Arbeitsfluss zu finden. Meine Unterstützungsangebote finden Sie hier.

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